Jutta Kohlbeck begegnet uns als Künstlerin mit einem Glücksversprechen. Wer ihre Arbeit kennt, weiß vielleicht, wovon ich spreche.

Gemeint sind die Zeichnungen und Quilts, auf denen sich ein ganz eigener, filigran angelegter Mikrokosmos ausbreitet, der ihre signifikante Handschrift trägt:

ihre Handschrift, das ist ein widererkennbares Vokabular aus symbolhaft aufgeladenen Versatzstücken und Motiven:

Augen, Schmetterlinge, Strahlen, ihre kleinen, sympathischen Protagonisten -

comicartig reduzierte, heitere Gestalten, verwurzelt im Hier und Jetzt, in der Bedingtheit des menschlichen Daseins.

Diese Jetzt-Zeit-Idyllen, die uns auf ihren genähten und gezeichneten Bildcollagen begegnen, sind paradiesische Fiktionen der Künstlerin, Erzählungen zur epikureischen Verherrlichung des augenblicklichen Glücks oder - mit anderen Worten - ein von der Pop-Art genährtes, ungefiltertes Konglomerat aus lärmfreien Autos, Frauenbeinen, Lippenstiften und Geldmünzen.

Dieses Sammelsurium aus oberflächlichen und tiefgründigen Aspekten versinnbildlicht dabei eine leichte Zerrissenheit der Bildheldinnen zwischen dem eigenen Schönheitsanspruch, der Vergänglichkeit des Glücks und dem evtl. etwas vernachlässigten Ich im Inneren.

Diese ansatzweise leichte Störung bringt zum Vorschein, was die Künstlerin interessiert: die „subsurfaces“.

 

Das unter der Oberfläche Befindliche reicht der Künstlerin dabei noch nicht aus - sie nennt ihre Arbeiten dieser Ausstellung weiter „transparente Erosionen“.

Nicht die eine darunterliegende Unteroberfläche ist von Interesse, sondern das Abtragen ganzer Schichten zur Freilegung innerer Substanz.

Substantielle Freilegung ist dabei zu verstehen als ein Transparent-Machen von in diesem Zusammenhang überflüssigen Außenschichten.

 

Durchstreifen unsere Augen die Ausstellung, so blicken uns unzählige, weit aufgerissene, von dunklen Wimpern gerahmte Augen entgegen:

in Heerscharen begegnen uns diese multiplizierten Augenaufschläge und werfen wiederum die Frage auf:

wer beobachtet gerade wen? und wohin wird geblickt? in die anonyme Außenwelt oder vielleicht nach Innen, also wiederum unter die Oberfläche?

 

Wir verstehen in dieser Konfrontation der Blickkontakte, es geht ganz offensichtlich um mehr als nur das Sichtbare, es geht um das bewusste Sehen, um das fühlende Sehen, um den Prozess des Sehens und die Wirkung, was das Gesehene in uns auslöst.

 

Zellensuche, Bauchgefühl, Seeleninfakt -

Die Werktitel der Künstlerin sprechen eine eindeutige Sprache - nach der Kostbarkeit des Augenblicks und der Zartheit eines Flügelschlages arbeitet die Künstlerin jetzt an einer andersartigen Anatomie - einer Anatomie der - so die Worte der Künstlerin - inneren Werte.

Jutta Kohlbeck begibt sich auf die Suche nach denselbigen, sie sucht sie im Inneren - in den Zellen, den Zellmembranen, den Blutgefäßen und den kräftig pulsierenden Blutbahnen, in Bewegung gehalten von dem Herz, diesem monströsen Organ in unserer Mitte.

 

Für diese weitreichende Suche hat sie ihre künstlerischen Ausdrucksformen erweitert, sie lotet ihre Freiheit im Gebrauch der verschiedenen Mittel neu aus.

Sie paart die Graphitlinie mit Schattierung, sie fotografiert, zuerst dokumentarisch, dann das Material verfremdend zur Klärung ästhetischer Grenzbereiche.

Wir spüren in diesen Facetten die Energie der Künstlerin, die scheinbar keine Zeit mehr verlieren will und nur dann zu Stoff und Faden greift, wenn das Material die Aussage stützt und nährt.

Bei allem sprunghaften Wechsel des Mediums spüren wir als Bindung schaffendes Element die Suche nach verdichteter Aussage zum eigenen Ich.

Dabei moralisiert sie nicht, ihre Arbeiten sind vielmehr einfache Bestandsaufnahmen realer, beobachtbarer Zustände, die Kunstschau wird nicht zur Therapiesitzung.

 

Wenn sie uns etwas vor Augen führt, dann Realitäten, Außenschichten, einengende Hüllen, die einer Entfaltung innerer Werte möglicherweise entgegenlaufen.

Eine Frage koppelt die nächste: auf die Frage nach dem inneren Kern folgt die Frage nach der Freiheit als Bedingung und Voraussetzung für innere Wertigkeit.

Dabei interessiert keine allgemeine Freiheit, sondern die persönliche, individuelle, auch geschlechterspezifische  Freiheit inmitten unserer heutigen Lebensrealität.

 

In dem Video machen wir in 3,5 Minuten Bekanntschaft mit einer Tänzerin. Sie steht in einem geschmeidigen Goldgewand beklatscht auf der Bühne des Lebens und scheint im ersten Moment alles Erstrebenswerte erreicht zu haben.

Allmählich werden wir als Betrachter dann ihrer stetig wachsenden Bemühungen gewahr, diese goldene Zwangsjacke bzw. diese erfolgsgenormte Uniform abzustreifen. Die Hauptfigur fühlt sich dieser einengenden Oberflächlichkeit entwachsen, möchte neue Freiheiten erkunden.

Ein graues Filzkleid mit aufgesetzten großen Augen ermutigt sie zur vorsichtigen  Innenschau. Das zunächst steife, aber wärmende Filzgewand zeigt neue individuelle Bewegungsspielräume auf, die in letzter Konsequenz für die Hauptfigur zur persönlichen Freiheit führen.

 

Ohne sich bewusst zu werden gleiten wir als Betrachter in Zonen des Persönlichen, des Unmittelbaren, des Intimen.

Jutta Kohlbeck verunsichert den Betrachter, unterschwellig, schleichend, voll Raffinesse.

Die Ästhetik der Umsetzung vernachlässigt sie dabei nie, schließlich will auch sie uns verführen, um uns im selben Moment mit dem Rauschen der offenen Fragen alleine zu lassen.

Gold, Blut, Filz und alternde Schokolade - die Palette der sinnfällig zitierten Werkstoffe ist existentiell und dennoch intuitiv gewählt; von Beuys kennen wir solche symbolhaften Materialverwendungen.

Diese immense Intensivierung inhaltlicher Bedeutsamkeit im Werk von Jutta Kohlbeck ist neu und gesellt sich kontrastreich zur naiven Leichtigkeit vormals idyllischer Weltsichten.

 

 Sie denkt laut über Freiheit nach  und denkt sich in die Rolle vieler Frauen.

Sie streift die subjektive Sicht - soweit das möglich ist – versuchtermaßen ab und objektiviert unter dem Gesichtspunkt der Vielfalt der Individuen.

 

Freiheit vor dem Hintergrund von Ausbeutung, vor dem Hintergrund des allgemeinen Konsums, Freiheit gegen sich selbst und in Hinblick auf die eigenen Wünsche -

 

Die Stärke, mit der gewonnenen Freiheit auch etwas anfangen zu können, ist dann eine andere Geschichte, wie im Fall der kleinen Meerjungfrau mit dem erkämpften Dreizack, die trotz ihrer begangenen Rebellion und Unangepasstheit erst in die neu gewonnene Freiheit hineinwachsen muss.

 

Wenden wir uns abschließend den wie in wissenschaftlichen Schaukästen und in mikroskopischer Vergrößerung von der Künstlerin als „Innere Werte“ betitelten Zeichnungen zu:

wie teilungsbereite Einzeller mit strahlendem Kraftkern schweben diese schattierten kleinen Energiezentren in ihren weißen Isolationskästen. Wussten wir bisher nicht, wie konzentrierte Hochspannung in Atomgröße aussieht, so könnten diese kleinen Grafiken wenigstens eine visuelle Antwort sein. Diese mit erstaunlicher Feinheit zeichnerisch vorgetragenen strukturellen Verdichtungen im Minimalen sind absolut faszinierend, geheimnisvoll, wir spüren Zeitenstillstand bei gleichzeitiger Kernschmälze im Gefühlsreaktor.

 

Die beste Art, mit der Erkenntnis umzugehen, dass wir eigentlich nichts wissen, ist immer noch, gute Fragen zu stellen.

Die Künstlerin Jutta Kohlbeck ist auf einem vielversprechenden Weg.

 

Text mit freundlicher Genehmigung von Sabine Schneider Mag.art.